17 June 2014

Handy und Sichel

Das kommunistische Vietnam fördert die Unterhaltungsindustrie und gehört doch zu den brutalsten Gegnern der Meinungsfreiheit. Internetaktivisten riskieren viel. VON MATTHIAS LOHRE

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Ein Mann liest Nachrichten auf seinem Laptop in einem Café in Hanoi.
Ein Mann liest Nachrichten auf seinem Laptop in einem Café in Hanoi.  |  © Hoang Dinh Nam/AFP/Getty Images
Sein Ausflug in die Freiheit dauert nur 24 Minuten. Nguyen Van Dai sitzt in einem kleinen Café in Hanoi. Aus dem Radio kommen süßliche Popsongs, er erzählt, wie er als junger Rechtsanwalt Jurastudenten lehrte, dass die Menschenrechte auch für politisch Andersdenkende gelten. Und wie er 2007 wegen "Propaganda gegen die Sozialistische Republik Vietnam" zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Die ersten Gefängnismonate fristete er bei Wasser und Reis, umgeben von bis zu 32 Mithäftlingen. "Im Winter war es okay, aber im Sommer wurde es sehr heiß."


Gerade sagt Nguyen, die politische Situation im Land sei heute "etwas besser", da füllen grüne Uniformen und schwarze Anzüge den Raum. 13 Geheimpolizisten und örtliche Aufseher umringen den Anwalt wie ein Zaun. Verängstigt eilt er zurück in seine Wohnung, und im Café preist ein weiterer Popsong den Sieg der Liebe.
Noch gelingt der vietnamesischen Führung ein erstaunlicher Spagat. Das Land zählt zu den brutalsten Gegnern der Presse- und Meinungsfreiheit – und fördert zugleich den Tourismus. Kaum ein Regime fürchtet neue Medien mehr als die dortige Kommunistische Partei – und forciert zugleich die heimische Unterhaltungsindustrie. Auf Plakatwänden prangen Hammer und Sichel neben der Werbung fürs neueste Tablet. 

Die Regierung liest mit

Wer von den zentral vorgegebenen Sprachregelungen abweicht, dem drohen bis zu 20 Jahre Haft. Human Rights Watch schätzt die Zahl politischer Häftlinge auf bis zu 200. Allein 2013 seien 63 Personen aus politischen Gründen verurteilt und eingesperrt worden. Im jüngsten Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen rutscht Vietnam weiter nach unten – auf Platz 174 von 180 Ländern. Die NGO urteilt, Vietnam sei "heute nach China das zweitgrößte Gefängnis für Blogger und Netzbürger".
Warum also sagt Anwalt Nguyen, heute sei die Lage in Vietnam "etwas besser"? Die Antwort hat zu tun mit großer Politik, sogenannten kleinen Leuten – und dem Internet.
Es gehe ihm gut, lässt Nguyen wenige Stunden nach dem gesprengten Treffen ausrichten. Er sei nicht geschlagen worden, dürfe aber seine Wohnung wohl ein paar Wochen lang nicht verlassen. Die Nachricht erreicht die Außenwelt per Mail. Die vietnamesische Regierung lässt Internetseiten zeitweise sperren und vermutlich Mails mitlesen. Trotzdem finden Demokratieaktivisten wie Nguyen Wege, sich im Netz Gehör zu verschaffen. 

Streit mit China als Ablenkung

Noch scheint die Stimmung im Land der Regierung gewogen. Seit Beginn der marktwirtschaftlichen Reformen in den achtziger Jahren wächst das Bruttoinlandsprodukt stetig. Tourismus, Rohstoffexporte, Textil- und Elektronikfabriken tragen dazu bei, dass es in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten jährlich zwischen 5 und 8,5 Prozent wuchs. Doch mit dem Wohlstand entsteht bei vielen Vietnamesen auch ein Bewusstsein für die sozialen Missstände.
Bauern im ganzen Land wehren sich gegen Beamte, die sie mit Behördentricks von ihrem Grund vertreiben wollen. Andere Stimmen kritisieren den Umgang der Führung im Konflikt mit dem großen Nachbarn China als zu lasch. Beide Staatenbeanspruchen große Teile der Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer für sich. Sie vermuten dort große Rohstoffvorkommen. Auch deshalb hat die Führung in Hanoi die jüngsten Proteste so lange gewähren lassen: um gegenüber Peking Stärke zu demonstrieren – und um innenpolitischen Druck abzuleiten.
Der Druck aus der Bevölkerung aber steigt. Und mit ihm der Gegendruck von oben. Im 90-Millionen-Land existieren mehr als 850 Zeitungen und Magazine, 66 Fernseh- und Radiosender und 80 Onlinezeitungen. Sie alle stehen unter zentraler Kontrolle durch das Propaganda- und Bildungsministerium in Hanoi. Seit September 2013 gilt Dekret 72. Es untersagt Vietnamesen, Informationen zu verbreiten, die dem "nationalen Interesse schaden" könnten. Internetnutzer dürfen in Mails, Blogs oder sozialen Netzwerken keine "allgemeinen Informationen" mehr verbreiten. Lakonisch titelte das US-Magazin Time: "Kümmert euch nur noch um Promiklatsch." 
Was es bedeutet, wenn das eigene Leben staatlicher Willkür ausgeliefert ist, weiß Pham Ba Hai sehr genau. Pham, ein athletischer Mittvierziger mit kahl rasiertem Schädel, forderte schon vor acht Jahren die Staatsführung heraus. Gemeinsam mit 117 anderen Aktivisten veröffentlichte er im Internet unter dem Namen Bloc 8406 ein "Manifest über Demokratie und Freiheit für Vietnam 2006". Darin beschuldigten sie das "totalitäre kommunistische Regime" der Korruption und der Unterdrückung der Bevölkerung. Sie forderten Pluralismus, Meinungs- und Religionsfreiheit. Ein direkter Angriff auf die Kommunistische Partei.
Pham wurde verhaftet. Beim Verhör legten die Beamten dicke Papierstapel auf den Tisch: sein gesamter Mailverkehr, säuberlich ausgedruckt. Regierungshacker hatten seinen Rechner gekapert. 25 Monate fristete Pham in Untersuchungshaft, das ist selbst nach den laxen Bestimmungen des vietnamesischen Strafrechts zu lang. Ein Gericht verurteilte ihn schließlich zu fünf Jahren Haft. Nach der Entlassung folgten zwei Jahre Hausarrest. Erst seit September 2013 darf sich Pham wieder frei bewegen.
Damit es ihm dabei nicht so ergeht wie Nguyen Van Dai, trifft er Vorsichtsmaßnahmen. In einem Taxi fahren wir durch die überfüllten Straßen von Ho-Chi-Minh-Stadt. Der Wagen hält vor einem modernen Café in der City. Touristen trinken hier ihren Eiskaffee neben Einheimischen, Popmusik dröhnt aus den Boxen. 

Immer nur verschlüsselt

"Solange die Wirtschaft wächst", urteilt Pham, "werden die meisten Vietnamesen nicht murren". Doch auch in Südostasiens Vorzeigeökonomie beginnt es zu kriseln. Seit dem Betritt Vietnams zur Welthandelsgesellschaft zeigen sich die Grenzen der "Marktwirtschaft mit sozialistischer Prägung". Das Wirtschaftswachstum reicht nicht aus, um einer trotz Zwei-Kind-Politik wachsenden Bevölkerung pro Jahr 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze zu bieten. Die Inflation nagt am Ersparten der Mittelschicht, und die Armut schrumpft kaum noch, weil Lohnerhöhungen gering ausfallen.
Pham Ba Hai ist sich sicher: Diesmal werden die Forderungen von Menschenrechtsaktivisten mehr Erfolg haben als noch vor wenigen Jahren. "Heute ist die Lage viel besser", sagt Pham, "wegen der Möglichkeiten des Internets."
Früher erreichte die Nachricht, ein Blogger sei verhaftet oder verurteilt worden, die interessierte Öffentlichkeit binnen Tagen oder Wochen. Heute dauert es dank Facebook und Blogs nur wenige Stunden. Aktivisten sprechen miteinander nicht mehr übers Handy, sondern per Skype. Viele nutzen mehrere verschlüsselte Internetverbindungen. Ob das alles tatsächlich vor Überwachung schützt, weiß niemand genau. 

"Natürlich fühle ich mich bedroht"

Während Pham spricht, behält er die Fensterfront zur Straße im Blick. Hier kann ihn niemand festnehmen, ohne dass zumindest jemand Fotos oder Videos davon ins Internet stellt. "Natürlich fühle ich mich bedroht", sagt er. Aber er glaubt sich relativ sicher, weil er heute eine klare Linie beachtet: "In meiner Arbeit konzentriere ich mich allein auf Menschenrechte, nicht politische Rechte." Er pocht auf Einhaltung der in der Verfassung verankerten Grundrechte, etwa bei Haftbedingungen.
Die Taktik der KP scheint klar: Solange unsere Alleinherrschaft nicht infrage gestellt wird, sind wir zu Zugeständnissen bereit. Warum aber blockiert die Regierung nicht einfach dauerhaft den Zugang zu Internetseiten, die ihr missfallen?
Pham Ba Hais Erklärung ist einfach: Weil sie von ihrer Existenz profitiert. Websites wie Defend the defenders dienten als Nachweis der Toleranz des Regimes. Obendrein erführen die Behörden, was Menschenrechtsaktivisten denken. Solange diese nicht zu Taten aufriefen, ließen die Aufseher die Blogger walten. 

"Ich bin jederzeit erreichbar"

Und so schwanken Vietnams Blogger zwischen Aufbruchstimmung und Zweifeln, zwischen Freude und Angst. In welche Richtung sich ihr Land entwickelt, weiß womöglich nicht mal die früher allmächtige KP.
Pham Ba Hai bricht auf. Als er das Café verlässt, blickt er sich nach möglichen Verfolgern um. Er reicht dem Besucher die Hand und sagt, er hoffe auf ein baldiges Wiedersehen. "Ich bin jederzeit erreichbar."

1 comment:

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